Hat Corona dem Lernen und der Digitalisierung einen Schub verpasst? Eine spannende und vielschichtige Frage, die wir scheibchenweise von „alt nach jung“ anhand unseres nächsten Umfeldes aufgeteilt haben. Eine mit Sicherheit nicht wissenschaftlich korrekte, aber dafür erfahrungsdichte Analyse.
Generation 65+ – Unsere Eltern
In der Phase des nicht mehr aktiven Arbeitslebens zählen menschliche Beziehungen wohl noch mehr und es wird sehr deutlich, wie viele davon man im Beruf, im Hobby, in der Nachbarschaft, vor allem in der vielleicht noch etwas aktiveren Zeit aufgebaut hat, jetzt noch tragen.
Dazu gehören der tägliche Einkauf, der Spaziergang, der Besuch der Enkel, oft sogar der Arztbesuch. All das war mit dem Auftreten von Covid-19 verboten oder zumindest stark eingeschränkt. Nach wie vor sind viele Sachen, durch die die Generation 65+ lernt, nicht möglich. Sofern gesundheitlich machbar reisen sie, treffen sich mit Bekannten, gehen vielleicht einmal im Restaurant essen.
Bei all diesen Aktivitäten hat die Digitalisierung tatsächlich keinen großen Lernschwung gebracht. Natürlich – ohne das Internet und die Facetime-Verbindung zur Familie wäre es sicher noch einsamer geworden. Aber die seniorengerechte App auf dem Tablet mit Stoßdämpfer ist eben doch nur ein schwacher Ersatz für den ausgefallenen feuchten Schmatzer und die nicht gefeierten Familienfeste. Zumal selbst Treffen in kleiner Runde ja kaum sind – bewegt man sich doch immer innerhalb der eigenen Alters- und damit Risikogruppe.
Was diese Generation gelernt hat: dass die Welt bedrohlicher und unbegreiflicher wird, dass Beziehungen zählen, dass Tools ein nettes Add on aber kein Ersatz sind.
Generation 30 – 65 – Wir selbst & „das Arbeitsleben“
Die Gruppe muss man vermutlich noch mindestens einmal unterteilen und zwar in diejenigen, die in den Sektoren der Wissensarbeiter unterwegs sind und derer, die mehr oder weniger handwerklich arbeiten.
Einen Handwerker zu bekommen in Coronazeiten – fast unmöglich. Für viele Gewerke hat sich in der Krise nicht viel geändert. Mehr Menschen als sonst haben investiert in Haus und Garten. Nach einer kleinen Delle im Frühen Frühjahr wurden Aufträge fast wie vorher vergeben. Digitalisierung? Sicher, den einen oder anderen Termin kann man digital vereinbaren und auch die Rechnung kommt per Mail. Aber das war es dann auch schon. Eine Branche, die praktisch keinen Digitalisierungsschub erfahren hat – weil sie ihn schlichtweg nicht braucht.
Dem genau gegenüber steht die Eventbranche. Sie ist eigentlich sogar digital aufgestellt. Denn bei aller Gesangskunst wissen wir genau, wie viel Technik hinter jedem Konzert steckt. Aber es stecken eben auch wiederum unfassbar viele Menschen hinter dieser Technik. Musik streamen, Autokinokonzerte, Kleinstveranstaltungen und null Partyleben – da sind wir Zuschauer nur zu wenigen Zugeständnissen bereit. Vermutlich gehört diese Branche zu der, bei der sich die meisten ein „alles wieder wie vorher wünschen“. Digitalisierung hat hier nicht alles zum Erliegen kommen lassen. Selbst wenn Tools hier das Kunstwerk erlebbar machen – von Lernschub ist das weit entfernt.
Unser eigener Bereich – ja, der hat einen Schub erfahren. Denn überall, wo bis März 2020 „ein bisschen“ Digitalisierung im Ansatz vorhanden war, ist sie explodiert. Kaum jemand, der inzwischen nicht fit in mindestens 2 Videokonferenz – Programmen ist und der nicht auch noch abends ein lustiges Afterwork bei einem Glas Wein mitgemacht hat. So langsam pendelt sich das auf einem verträglichen Niveau ein – denn ganz ehrlich kann selbst der stärkste Kommunikationsprofi irgendwann nicht mehr auf einen Bildschirm starren in dem Versuch, allen 20 Meetingteilnehmern freundlich und emotional verbindend in die Augen zu schauen. Wir kennen auch noch niemanden, der oktopusartig gleichzeitig den Zoom-, den Teams- und den Handycall angenommen hat, während der Paketbote an der Tür klingelt und Alexa meldet, dass der Auflauf fertig gebacken ist. Wir hätten gerne ein bisschen weniger Digitalisierung. Zumindest von Zeit zu Zeit die Möglichkeit den Stecker zu ziehen.
Für unsere eigene Lernkurve stellen wir fest: Kaum an einem anderen Ort als in unserem digitalen Wohnzimmer lässt sich so schnell querlesen, lernen & kommentieren. Wir waren allerdings auch schon vor Corona große Lernfanatiker!
Generation 18 – 30 – Studylife & Onboarding
Am 01.04. ging das Sommersemester los. Der erste Studientag – er fand im Kinderzimmer statt. Ebenso wie die erste Hausarbeit, die erste Klausur und der Start in die ersten Semesterferien. Es ist großartig dass das geht – aber es ist auch genau so traurig, wie es sich liest. Lena kennt inzwischen vielleicht 5 ihrer Kommilitonen physisch, die anderen per WhatsApp und maximal an der Stimme, da in Vorlesungen der Bildschirm in der Regel schwarz bleibt – die Bandbreite reicht nicht aus. Wir oft hat es der Prof nicht geschafft, seine Verbindung herzustellen, wie oft fielen Vorlesungen aus, wie hemdsärmelig wurden Prüfungen gestrickt, verworfen, neu gedacht, umgemodelt.
Digital studieren – ja das geht. Es sind auch wirklich kreative Dozenten dabei. Aber die Digitalisierung allein macht den Lehrenden nicht zu einem besseren Didaktiker. Immerhin sind die meisten Studierenden ganz vernünftig ausgestattet, was digitale Kompetenzen, Selbstlernen und Hardware angeht. Wer das aber nicht ist, der findet auch nicht statt.
Insofern hat Deutschland bei aller Digitalisierung der Hochschulen noch eine Menge Arbeit vor sich – nämlich die gesellschaftliche Diversifizierung des Studienzugangs.
Studierende haben gelernt: Lernen ist digitaler, aber noch ungleicher geworden durch Corona. Und einsam. Denn wer von uns hat bitte ohne Partyleben studiert?
Generation 6 – 18 – Zwischen Schule und #homeschooling
Wir haben sie immer wieder geteilt, unsere Homeschooling-Highlights. Eines bleibt die Mail des Lehrers, der gebeten hat das PDF doch bitte noch einmal zu senden – es stünde auf dem Kopf.
Was für Hochschulen gilt ist in Schulen noch ein Runde dramatischer. Es ist immer wieder so unfair gegenüber den wirklich engagierten und kreativen Lehrerinnen und Lehrern, aber es überwiegt der Anteil derer, die hier scheinbar selbst nicht lernbereit sind. Es gäbe so viele Chancen. Aber viele Lehrkräfte scheinen das vergessen zu haben, wofür sie begeistern sollen: das Lernen.
Hinzu kommt, dass die Technikausstattung hier noch mehr über Anschub- und Bremswirkung entscheidet. Schule ist ungleicher geworden durch Corona. Gerechte Chancen für alle? Wunschdenken. Selbst wenn identifizierte Brennpunktschulen medienwirksam ausgestattet und gefördert werden – in fast jeder Schulklasse gibt es mindestens ein Kind, das weder die passende Ausstattung noch die notwendige Unterstützung findet.
Gerade für das ganz frühe Lernen gilt: es ist immer eine Kombination aus analogem und digitalem Lernen. Wem nicht vorgelesen wird – im Idealfall unter der kuscheligen Bettdecke – dem ersetzen auch der SchoolFox oder Antolin nur wenig.
Was Schulkinder gelernt haben? Zumindest nicht, das Lernen eine echt coole Kombi aus digital und analog ein kann. Zumindest nicht flächendeckend. Leider.
Generation 3-6 – Erstes Lernen außer Haus
Wie viel wert frühkindliche Bildung ist – das hat die Dauer der Kitaschließungen offenbart. Natürlich sind dort Abstände und Regeln am schwierigsten einzuhalten. Aber es war schon auch der vermeintlich wirtschaftlich schwächste Bereich, den man ganz schön lange im Unklaren gelassen hat.
Kita geht jetzt wieder – fast wie vorher. Nur wie vorher. Denn einer neuerlichen Krankheitswelle stünden die Kitas ähnlich hilflos (und undigital) gegenüber wie im März. Und wieder müssten die einspringen, die es eigentlich nicht sollen (Großeltern) oder beruflich nicht können (Eltern). Digitalisierung hat hier noch keinen Lernschub gebracht. Ähnlich wie im Schulbereich liegen Fördermittel oft noch unabgerufen in diversen Töpfen bereit. Weil man eben gar nicht die Kompetenzen hat Kita digital zu denken. Dass das geht – dafür gibt es einige Leuchtturmprojekte (wir stecken selbst in einem mittendrin und sind sehr glücklich darüber). Diana würde gerne gerade alles auf einmal lernen: Radfahren, Schwimmen, Laternen basteln. Dafür braucht sie wenig Digitalisierung und viel Mensch.
Kindergartenkinder wissen noch nicht, was ihnen einen Lernschub geben würde. Sie lernen einfach – im Gegensatz zu vielen Erwachsenen ohne Zwang, ohne den ROI zu kennen, ständig, pausenlos. Aber wir müssten eigentlich eines während Corona gelernt haben: Dass wir einen Großteil der Problem später nicht hätten, wenn wir diese Generation fördern – auch digital.
Unser Fazit zum Lernen in Corona Zeiten?
Der Digitalisierungsschub durch Corona für den Bildungsbereich ist ein Survial of the fittest – es ist keine flächendeckende und schon gar keine gesellschaftliche Digitalisierung. Aber genau das ist unsere einzige Chance.
Darum glauben wir an und investieren viel Zeit in innovative Bildungsprojekte von 0 auf 100 – und von 0 bis 100 Jahre.