Wo fangen Grenzen im Kopf an und ab welchem Punkt fühlen sich Menschen eigentlich einer Gruppe nicht mehr zugehörig?
Ab wann ist man Rebell, Querdenker (also der Typ vor Corona) oder Grenzgänger?
Was ist exotisch im Sinne von „fremdartig wirken“?
Wir hatten in letzte Zeit einige skurrile Situationen, in denen wir uns – als eigentlich von keiner sozialen, politischen oder unvollständig integrierten Randgruppe Betroffenen – nicht zugehörig gefühlt haben. Immer will man uns in irgendein Schema pressen, vergleichen mit etwas, was man schon kennt. Eingruppieren eben.
1. Nicht-Akademiker
Lange her – und doch irgendwie nicht. Als wir vor inzwischen fast 6 Jahren in unser „Abenteuer“ Jobsharing gestolpert sind, haben wir nicht im Entferntesten geahnt, was das in den Köpfen des Unternehmens auslöst. Die Schlüsse, die aus der Kombination aus 13 Jahren Altersunterschied, der Geschlechterkombi und dem vermeintlich unterschiedlichen Background (und dem daraus resultierenden Non-Cultural-Fit) gezogen wurden, haben uns sprachlos gemacht. Unterschiede sind da, wo wir sie sehen wollen. Dafür braucht es kaum Begründungen.
2. Frauengruppen
Wir sind als Team stark geworden – eben weil wir Mann und Frau sind und mit diesen Rollen spielen und netzwerken können. Gleichzeitig wissen wir natürlich um die absolut mangelhafte Chancengleichheit der Geschlechter. Und doch war die Zugehörigkeit in einer reinen „Frauenbewegung“ – so wichtig deren Ziele und Aktionen sind – für uns nicht passend. Denn automatisch wurde nur noch EINE von uns angeschrieben für Leistungen, die wir zusammen erbracht haben. Unsere Stärke – nämlich den anderen inhaltlich und zeitlich ergänzen zu können (ersetzen werden wir uns niemals!) – wird durch das Ziel der Geschlechterseparation zunichte gemacht. Wir haben uns unvollständig und weniger gesehen gefühlt. Diese Art der Ausgrenzung mit dem Ziel der Fokussierung passt nicht zu uns.
3. Thematische Gruppen Teil 1: HR
„Ihr seid Herausgeber eines Buchs zu HR – habt Ihr überhaupt eine Ausbildung im HR?“ Deutschland, Deine Zertifikate!
Nein, haben wir nicht – oder vielleicht doch: unseren doppelten gesunden Menschenverstand. Das soll bitte auf keinen Fall Fachausbildungen im HR schmälern – aber um Menschen, die eben auf verschiedensten Ebenen Ahnung von HR haben, zusammen zu trommeln, zu motivieren, zu organisieren und zu einer (offenen!) Gruppe auf Zeit zu verbinden – dafür reicht der aus. Wären nicht so viele unterschiedliche Disziplinen an dem Buch beteiligt, wäre es nie ein Rethinking HR gewesen. Es wäre „just another book about HR“ geworden.
Jetzt ist es anders: ein bunter Haufen Ideen mit einer guten Story. Es geht nämlich um Mensch*innen.
4. Thematische Gruppen Teil 2: Marketing
Das Gegenteil gilt genauso: Ja, wir lieben bunte Bilder, wir entwickeln Marketingstrategien, spinnen herum, sind kreativ (und schaffen es fast immer, dass jede*r Mensch sich kreativ fühlt, sogar wir selbst!). Das heißt aber nicht, dass wir unsere Aktionen nicht tracken, messen, controllen und bewerten können. Zahlen und bunte Bilder widersprechen sich nicht.
Menschen folgen Menschen – genau darum ist dieses Social Media Marketing, sind diese Influencer entscheidend für HR und für Organisationen – wo sonst bekommen wir News in Echtzeit, an Authentizität kaum zu überbieten (denn Lügen haben selbst bei Models echt extrem kurze Beine;-)? Storytelling ist so viel mehr als ein Trend oder Buzzword – es verbindet Abteilungen, Silos, Gruppen. Es verbindet Menschen. Wir absorbieren oder ignorieren die Nachrichten, wir glauben oder widerlegen Statistiken – aber wir vertrauen Menschen. Und das ist es, was die Marketinggruppe mit der HR Gruppe verbinden muss: den Kunden im Fokus – den Mensch im Mittelpunkt.
5. Eierlegende Wollmilchsau
Das ist für uns das minderwertige Gegenteil von Diversität: alles in einer Person vereint. Bitte baut eine Webseite mit guten Texten, technisch auf dem neusten Stand, gestochen scharfe Bilder, SEO-optimiert, mobile first… aber bitte zum Baukastenpreis. Das geht nicht. Wir kennen keine Grenzen, aber wir wissen um unsere Grenzen. Ganz oft ist das Zeit, aber natürlich ist das an vielen Stellen auch vertieftes Spezialwissen. Wir können Sichtbarkeit, Kommunikation, Authentizität und branchenübergreifende Verständigung. Ja wir sind Dolmetscher zwischen Silos ;-)! Aber uns fehlt dann sicher der ein oder andere Spezialkniff in Sachen Tech & IT, Grafik oder Basistheorie.
Alles aus einer Hand? Ja! Aber davon haben wir eben auch wir nur vier.
6. Netzwerkökonomie muss „normal“ sein!
Wer sich um die Strategie kümmert kann ab einem bestimmten Punkt nicht noch das operative Geschäft managen und sich nebenbei um die Mitarbeiter kümmern. Aus der Außenperspektive mag das funktionieren (sogar sehr gut!), aber in der internen Umsetzung braucht es dazu ein Team. Das verkennt man oft. Wir agieren als Doppelspitze in unserer Jobposition so „bunt“, dass man uns auch den Dauerspagat zutraut. Lobenswert – aber das klappt nicht.
In unseren Beratungen und Coachings bringen wir HR, Marketing und die Geschäftsführung zusammen, damit sie eine integrierte und integrierende Einheit bilden. Wir sind in der Vogelperspektive.
Aber wir können das zu zweit nicht gleichzeitig sein in der Nestperspektive. Wir können kaum zuhören bei familiären Tragödien und anschließend ein Plakat designen. Wir können kaum hochpreisige Kampagnen freigeben und marginale Gehaltsanpassungen verweigern. Wir können … nein: wir wollen das nicht. Dazu braucht eben genau dieses funktionierende Uhrwerk aus Gruppen, die sich nicht verschließen. Offene und changierende Bewegungen, die Ideen haben, wie wir der Komplexität in Zukunft Herr*in werden können. Die nach links und rechts schauen, was außerhalb ihres „ex ante“ definierten Zuständigkeitsbereichs, aber innerhalb ihres „selbstbestimmten“ Kompetenzbereichs liegt.
Die Story
Wir können uns auf zwei Arten vorstellen:
Variante A: Wir sind Sven, Koch, und Julia, Mutter.
Welche Schublade ist jetzt offen?
Variante B: Wir sind Julia und Sven.
Und jetzt?
Gruppen sind gut – aber viel zu oft sind sie ausgrenzend. Das Gegenteil ist ihr Ziel – sie wollen sichtbar machen, um zu integrieren. Häufig gelingt das nicht. Wir müssen achtsam sein und gut hinschauen und zuhören. Damit Empowerment und Community nicht zu neuen Ausgrenzungen führt.
Als Menschen sind wir soziale Wesen, die nicht ohne einander können. Ja – manchmal auch nicht miteinander. Aber genau darum sollten und dürfen wir nicht von einem Extrem ins nächste stolpern. Wir müssen sehr gut überlegen, wo und wie wir uns engagieren, um integrierend zu wirken.
Das ist unser ganz fester Vorsatz für die Zukunft: Wir machen nur noch Projekte, die Themen, Menschen und Ideen verbinden. Dann sollten diese (fast) unweigerlich Grenzen einreißen im Kopf und zwischen Abteilungen.
Das spricht übrigens überhaupt nicht dagegen, dass nicht Quoten an der einen oder anderen Stelle ein durchaus probates Mittel sind, um denjenigen, die ihre Gruppen nicht um dieses integrierenden Grundgedanken Willens hin öffnen wollen, ein bisschen nachzuhelfen. Es widerspricht aber EX–klusiven Clubs – die eben schon per Definition eine Grenze im Kopf bauen.
Cultural Job Fit
Nachgedacht. Im Doppel. Kaum divers, aber eben anders. In einem Job, in einem Unternehmen zu sein führt zu einer Gruppenzugehörigkeit. Oft bedeutet das, dass ein Blick über den Tellerrand vom System her nicht mehr gewünscht ist. Wir sind aus der ursprünglichen Konfektionsgröße rausgewachsen, aus einer vermeintlich sicheren Gruppe. Nur angestellt zu sein ist uns schon lange zu wenig, weil es leider Diversität viel zu wenig zulässt.
Jetzt ist die Frage: welche Gruppe stellt den Cultural Fit wieder her?
Wir glauben ja, dass genau darum Selbstständige, Gründer, Multijobber und Sidepreneurs diverser aufgestellt sind. Sie sind offener für Neues. Sie dürfen ständig neuen Gruppen angehören.
Wir müssen unbedingt auch im Job mehr auf die Mischung achten! Wir sind gerne Teil von Gruppen – aber eben nicht exklusiv. Keine Silos eben. Dann werden Geschichten schnell langweilig und begrenzt.