Manchmal steckt man Absagen besser weg, manchmal nicht. Vor allem, wenn man sie rational nicht nachvollziehen kann. Letzte Woche war das der Fall. Vermeintlich alle Punkte des potenziellen Auftraggebers abgedeckt und dann – Absage in letzter Minute. Weil es für den Workshop kein Zertifikat gibt. Der nachfolgende Tweet kam aus dem Bauch – die Reaktionen wohl auch. Grund für einen Blick hinter den Scheinvorhang Deutschland.

 

Warum sind wir so erpicht auf „Belege“ des Könnens & Wissens?

Eigentlich ganz klar. Wir sind Zeit unseres Lebens darauf getrimmt, nach Abschlüssen und Zertifikaten zu hecheln. Laufen und sprechen lernen dürfen wir noch ohne Zertifikat – aber da sieht man die Fortschritte und Erfolge ja auch sehr offensichtlich und die Bewertungskriterien sind klar. Mit dem Schwimmen fängt es dann an. Das Seepferdchen ist oft das erste Abzeichen, das wir feiern, stolz auf die Badehose nähen und mit dem wir uns von anderen abheben können. Mit der Grundschule folgen die Zeugnisse – der erste bewertete Nachweis von Wissen. Wir erkennen also relativ früh im Leben, dass wir für Zertifikate belohnt werden. Das steigert idealerweise die intrinsische wie extrinsische Motivation ebensolche zu bekommen.

 

Was sagen Zeugnisse aus?

Spätestens mit der weiterführenden Schule erfahren wir: die Objektivität der Notengebung ist ein Trugschluss. Noten werden durch Lehrer vergeben, Lehrer sind Menschen und Menschen sind nicht objektiv. Wir sammeln weiter Zeugnisse als Ausweis unserer Fähigkeiten und gleichzeitig fangen wir an uns über diese Zeugnisse und Bewertungen voneinander abzugrenzen. Bessere Noten – besserer Mensch. Schulen ticken so. Und da das Abschlusszeugnis der Türöffner Richtung berufliche Zukunft ist, steigt die (extrinsische) Motivation, ein solches zu erreichen. Ähnlich verhält es sich mit Zeugnissen für die Berufsausbildung oder ein Studium.

 

Fertig mit der Bildung?

Wenn wir also all diese Zeugnisse gesammelt haben sind wir offiziell fertig mit Bildung. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir in der Regel solche Zertifikate gesammelt, die durch verschiedene Qualitätsprüfungen vergleichbar sein sollen und eine bestimmte Kompetenzstufe offiziell ausweisen. Das Ganze ist uns deutschland- und europaweit so wichtig, dass wir es in ein ordentliches Gerüst gepackt haben – den deutschen bzw. europäischen Qualifikationsrahmen (https://www.dqr.de/content/2323.php). Er ist ein „übergreifendes Transparenzinstrument“ für die Lernergebnisse von Menschen.

Bestimmt gut gedacht – aber es tut schon beim Lesen ein bisschen weh, oder?

Und auch wenn wir es natürlich für absolut notwendig halten, das Schulnoten gerecht sind und Bachelor- wie Masterabschlüsse international vergleichbar, so wissen wir doch, dass das kaum möglich ist.

Und genau darum endet für uns spätestens mit dem Masterabschluss (wenn man denn nicht eine Forschungskarriere an einer Universität anstrebt) der Lernweg, der mit einem Zertifikat, einem Zeugnis einer Prüfung, einer Urkunde oder was auch immer belegt werden muss.

 

Welcher Bildungsanbieter ist gut?

Für den Bereich Fort- und Weiterbildung sollen Zertifikate etwas über die Qualität des Bildungsanbieters aussagen. Aber wie Tatiana Dikta so richtig anmerkt – ein Zertifikat ist nicht mehr als eine Teilnahmebescheinigung. Für eine Hochschule mag noch gelten, dass sie, wenn sie als Bildungsanbieter staatlich anerkannt ist, auch an ihre Zertifikate die gleichen Ansprüche stellt. Aber garantiert ist das nicht. Zertifikate mit Prüfung, ECTS und Anrechnungsmöglichkeit auf ein Hochschulstudium sind da eventuell eine Ausnahme. Sie sind dann aber auch wenig flexibel.

 

 

Weiterbildung vs. Workshop

Es gibt sicher Themen, die man standardisiert in Weiterbildungen abhandeln kann. Und auch solche, die man zertifizieren muss.

Aber wenn wir Workshops anbieten, dann sind die in der Regel hochgradig individuell und auf die Bedürfnisse der anfragenden Organisation oder der Person zugeschnitten. Manchmal entstehen sie erst mit den Teilnehmern selbst oder gehen in eine ganz andere Richtung als zunächst gedacht. Das macht den Unterschied.

In unserer heutigen Arbeitswelt werden wir mehr und mehr Individualisierung brauchen. Das Standardprogramm kann uns eine KI beibringen. Fernstudiengänge gewinnen zunehmend an Attraktivität. Perfekt – ein einmal aufgenommener Lehrinhalt kann beliebig oft abgespult werden. Dabei kann es sich schlichtweg nur um „zeitlose“ Inhalte handeln. Ein Studienprogramm wird für min. 5 Jahre akkreditiert – ein Studiengang in Social Media macht damit nur sehr begrenzt Sinn, wenn nicht ein engagierter Professor im Rahmen der akkreditierten Modulbeschreibungen halbjährlich seinen Foliensatz anpasst.

„Zertifikate sind nicht mehr als Teilnahmebescheinigungen.“

Und genau so werden sie von Personalern heute auch gesehen. Es muss uns doch viel wichtiger werden, welche Kompetenzen die Menschen hinter dem Zertifikat im Laufe ihres Lebens gesammelt haben.

Wir gestalten unsere Angebote zu 20% auf Basis unseres bescheinigten Kompetenzprofils und zu 80% aus unseren Erfahrungen. Denn uns fehlen die Zertifikate für den Berufsunfall (komischerweise ist das beurkundete Abschlusszeugnis als Koch selten gefragt…), die Erziehungszeiten, der Beleg für gute Freundschaft und übers Zuhören können.  Genau die sind aber viel wichtiger als das alte Diplom und der bald ganz neue Masterabschluss (den die Hochschule verlangt; Stichwort extrinsische Motivation…).

 

Dschungel Bildungsmarkt

Hochschulen, Weiterbilder, Coaches und Trainings gibt es wie Sand am mehr. Zertifikate auch. Nicht umsonst haben Bewertungsportale so eine immense Bedeutung erzielt – je mehr „offizielle“ Zertifikate und Abschlüsse es gibt, desto weniger vertrauen wir ihnen. Wir vertrauen viel mehr der persönlichen Erfahrung eines Nutzers, eines Freundes, jemandem, der den Kurs, das Hotel schon einmal besucht und das Buch bereits gelesen hat. Und – willkommen in Deutschland – prompt gibt es dafür Plattformen. Auf denen Anbieter sich Zertifikate abholen können. Oder Sterne.

 

Fazit

Wenn Ihr wollt gibt es für uns nach dem nächsten Workshop eine Doppeltspitze zum Aufnähen auf die Badehose.

Oder einfach das gute Gefühl, gemeinsam etwas erarbeitet zu haben, womit der eigene Job spannender, erfolgreicher, wertvoller wird.

Was unsere und Eure Motivation und Neugier anregt.

Das Zertifikat könnt Ihr Euch dann selbst ausstellen.