Tim Verhoeven hat zur Blog-Parade aufgerufen: Recruiting-Learnings durch Corona.
Ob unsere Learnings Recruiting Learnings im engeren Sinne sind oder eher Candidate oder Employer Learnings? Keines funktioniert ohne das andere. Vielleicht ist es genau das, was das deutlichste Ergebnis dieses (nicht nur) aus Arbeitsmarktsicht besonderen Jahres ist.
Throwback
Wir springen kurz zurück ins Jahr 2019.
(Keine Angst, wir müssen 2020 danach nicht noch einmal komplett durchlaufen).
An der Schnittstelle zwischen Marketing und Recruiting – nämlich im Vertrieb einer dualen Hochschule – erleben wir täglich, was sich die Generation Z wünscht und was der Arbeitsmarkt insbesondere im Bereich der KMU bietet. Von professionellem Recruiting sind wir ganz weit entfernt. Denn – und hier schlagen wir kurz die Brücke zum Blogparadenbeitrag von Marcel Rütten – im Bereich der KMU herrschen genau die Recruiting Methoden vor, die Marcel den Kriselnden und den Absteigern zugeordnet hat.
Die Welt der KMU lebt von persönlichen Kontakten. „Mach Mal ein Praktikum bei uns, dann schauen wir, ob der Job passt“. Oder „Wir schalten schon immer eine Anzeige im örtlichen Wochenblatt, da kenne ich den Chef.“ So oder ähnlich sah auch das Ergebnis einer Untersuchung aus, die wir stichprobenartig bei den 800 Kooperationsunternehmen unserer Hochschule durchgeführt haben.
Online Kommunikation im Recruiting?
Über eine Karrierewebseite mit eigener URL verfügten nur 9 der 106 untersuchten Unternehmen. 23 Unternehmen haben weder eine Karrierewebseite noch einen Hinweis auf mögliche Stellen. Dazwischen liegen 74 Unternehmen, auf deren Webseiten ein Link zu Karriereoptionen in der Kopf- oder Fußnavigation integriert ist. In der Ausgestaltung lassen sich erhebliche Qualitätsunterschiede festmachen. So reichen die digitalen Umsetzungen von der Darstellung einer Vakanz in Form eines statischen Dokuments (pdf) bis hin zu einer interaktiven Abbildung des Bewerbungsprozesses. Die Positiv- wie Negativbeispiele sind nicht systematisch einer Branche oder Unternehmensgröße zuzuordnen.
Die Einbindung von Social Media Kanälen ist noch nicht in den Unternehmen angekommen. Lediglich 32 von 106 Unternehmen weisen auf ihre Social Media Kanäle hin. In einigen wenigen Fällen können im Bewerbungsprozess die Daten aus den Xing oder LinkedIN Profilen der Bewerber übernommen werden. Dem Wunsch der Bewerber nach einer Erstinformation via Social Media wird kaum Rechnung getragen. Weitere interaktive Kommunikationsformen (WhatsApp, Recruitinghotline etc.) sind nur im Einzelfall vorhanden.
17 der untersuchten Unternehmen haben ihre Bewertung bzw. ihre Rezensionen, die sie von Mitarbeitern und Bewerbern auf externen Plattformen erhalten, auf ihrer Webseite eingebunden und damit lediglich 18% der Unternehmen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass für 80% der Unternehmen eine Bewertung auf Kununu als reichweitenstärkster Plattform vorliegt, bemerkenswert. Selbst Marketingagenturen, deren Produkt Transparenz und Sichtbarkeit ist, reagieren nicht auf negative Bewertungen auf Portalen bzw. pflegen ihre Profile auf externen Plattformen. Die Tatsache, dass Employer Branding auch außerhalb des unmittelbaren Kommunikationsbereichs stattfindet, ist in den Unternehmen noch nicht angekommen und damit auch nicht die Tragweite solcher Effekte.
Fazit 2019 (und wir sind uns leider sehr sicher, dass das Jahr 2020 hier nicht zu Quantensprüngen geführt hat): die Tools, die stärker denn je für Kommunikation zwischen Zielgruppe und Unternehmen führen könnten, werden kaum genutzt.
Fachkräftemangel
Konzerne haben aufgrund ihrer Struktur und Bekanntheit einen Vorteil in der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern. Regelmäßig erzielen sie dadurch erstklassige Ergebnisse in Arbeitgeberrankings und werden entsprechend auf den einschlägigen Plattformen erwähnt. Für Konzerne und Großunternehmen ergibt sich daraus eine positive Spirale aus Sichtbarkeit und Weiterempfehlung. Genau das gegenteilige Bild ergibt sich bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die weder die nötigen Ressourcen und Strukturen aufweisen können noch von Ergebnissen auf Jobportalen profitieren.
Wie ein Damoklesschwert hing also Anfang 2020 der Fachkräftemangel, die Notwendigkeit der Änderung der Kommunikation im Employer Branding und als große Retterin (oder Bedrohung – alles eine Frage der Perspektive) diese „Digitalisierung“ über den Unternehmen und hier insbesondere den KMU. Es musste etwas passieren.
Und dann kam Corona
Ob Corona das Recruiting nun verändert hat? Nun ja…
In der Tat: Es war und ist irgendwie immer noch unfassbar, was da über die Welt, die Menschen, die Gesundheitssysteme hereingebrochen ist. Über die Wirtschaft und mit ihr über die Unternehmen. Unfassbar aber auch, wie diese darauf reagierten.
„Nein, die Position des Junior Beraters ist gestrichen.“
„Auszubildende werden in diesem Jahr entgegen der Planung nicht mehr eingestellt.“
„Die Stelle des Nachwuchscontrollers besetzen wir vorerst nicht“.
Solche und ähnliche Kommentare haben wir wiederholt gehört direkt zu Beginn der Krise – als noch niemand deren Dauer und Wucht abschätzen konnte. Pure Fluchtreaktion. Fast kam es uns vor wie in einem anderen Leben, wenn eben diese Unternehmen jetzt auf genau diese Fachkräfte, an denen es doch so gemangelt hatte, verzichten wollen. Ein großer Teil dieser Schockstarre hält bis heute an.
Dagegen steht, was die Krise nicht verändern wird: die Einstellung der Generation Z.
Sie wird nicht nach Corona denken, dass es jetzt darauf ankommt, einfach irgendeinen Arbeitsplatz zu haben, weil es vielleicht brenzlig werden könnte. Pustekuchen. Diese Generation wird mehr denn je ihre Freiheit zu schätzen wissen. Denn das wird hängen bleiben: Dass das Gefangensein innerhalb der eigenen vier Wände eine Bedrohung darstellt. Das wird auch für das Gefangensein im falschen Job gelten. Diese Generation wird also noch genauer hinschauen, wo und für wen sie arbeiten möchte.
Kriterien für eine Recruitingstrategie
Was also sind die Learnings für das Recruiting nach Corona? Dass die Hausaufgaben endlich gemacht werden müssen in KMU.
Kriterien für eine Recruitingstrategie müssen so formuliert sein, dass sie KMU gleichzeitig Leitlinie und Flexibilität bieten. Auch wenn mittelfristig personelle und finanzielle Investitionen in Personalkommunikation und Employer Branding als Schnittstellenfunktion eines Unternehmens getätigt werden müssen, sollten kurzfristige Handlungsempfehlungen niedrigschwellig und operabel sein. Recruiting muss nicht teuer, aber gut sein!
Wer jetzt die Kommunikation in Richtung Nachwuchs oder neuer Mitarbeiter einstellt, um zu sparen und „danach“ mit großem Werbebudget wieder in den Wettbewerb um Fachkräfte einzusteigen, der hat Employer Brandig wirklich nicht verstanden. Der hält es für einen isolierten Marketingpart, der mit dem Unternehmen und dem HR nur mittelbar zu tun hat.
Wir haben es vor Corona als Reifegradmodell im Recruiting bezeichnet. Geändert hat sich nichts. Corona ist hier wie an so vielen anderen Stellen ein Brennglas, das die Reaktionszeit erheblich verkürzt hat. Das Jahr 2020 erschien uns an manchen Stellen unendlich lang. Für Recruitingprozesse war es ein Accelerator.
Darum gilt es genau jetzt Employer Branding nicht zurückzufahren – vor allem die Kommunikation, die im Mittelpunkt der EVP steht – nicht abbrechen zu lassen.
Recruiting Learnings
Ganzheitliches Denken bedeutet, dass wir uns gerade in den schlechten Zeiten um Mitarbeiter bemühen müssen – um die, die wir haben und um die, die wir künftig brauchen. Am Menschen zu sparen ist da der falsche Weg – auch wenn wir wissen, dass es für einige Unternehmen wirklich nicht anders geht. Für viele aber ist es die einfachste Sparmaßnahme. Und genau dann ist es gerade in schlechten Zeiten falsch: wenn es einfach scheint.
Und was absolut positiv sogar in diesen Zeiten ist: Die Arbeit an der EVP funktioniert auch digital. Denn die Lieblingskanäle der Generation Z – die sind jetzt präsenter denn je.
Eine spannende und positive Candidate- Employer- Recruiting- Experience kann auch in Krisenzeiten erzählt werden.